In diesen Tagen fällt allerorten die festliche Erstkommunionfeier aus, auf die viele Kinder sich lange vorbereitet haben. Auch in Stapelfeld ist die Osterzeit sonst geprägt von religiösen Familienfreizeiten. Die können aber in diesem Jahr nicht stattfinden. Was bedeutet die Corona-Zeit für Glaube und Familienalltag? Ein Gespräch zwischen Myriam Schneider, Erzbistum Köln, und Dominik Blum, Katholische Akademie Stapelfeld.

Myriam Schneider: Die aktuelle Zeit kann für Familien eine Chance sein, das Zusammenleben neu zu entdecken und zu erlernen, so Papst Franziskus kürzlich.

Dominik Blum: Bei allem Respekt vor Papst Franziskus, der ja einen realistischen Blick auf das Familienleben hat, würde ich zunächst mal von einer anderen Grundannahme ausgehen. Die aktuelle Situation ist für Familien eine echte Belastungsprobe. Zu viele Online-Hausaufgaben für die Kinder, gleichzeitig Homeoffice für die Eltern. Spielplatz gesperrt. Sorge um den Großvater mit chronischer Bronchitis, Besuchsverbot bei der Oma in der Altenpflegeeinrichtung. Die Frage, wie es mit dem eigenen Arbeitsplatz weitergeht, Kurzarbeitsgeld, Sommerurlaub storniert. Kein Garten und Prügelei der Brüder im kleinen Kinderzimmer. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Da müssen Familien sich neu organisieren und erstmal heil durchkommen, ehe sie das Zusammenleben neu feiern können. Das beweist ja auch der erhöhte Beratungsbedarf in der Familien- und Erziehungsberatung. Wenn Familien Bedingungen und Ressourcen haben, diese Zeit zu nutzen um zusammenzuwachsen, sich als Familie weiterzuentwickeln, dann ist das natürlich ideal – aber wohl eher die Ausnahme.

An welche Ressourcen denken Sie da?

Die Familien nutzen in Krisensituationen vermutlich vor allem das, was sich auch vorher bewährt hat. In den letzten Tagen habe ich viele Familien gesehen, die zusammen Sport treiben – der Vater joggt, die Kinder fahren mit dem Fahrrad hinterher. Oder Mutter und Tochter walken gemeinsam.
Im Fernsehen war ja jetzt häufiger zu sehen, wie viele Leute als Familie gemeinsam Musik machen – die spielen auf dem Balkon die „Ode an die Freude“ oder „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Das sind doch tolle Erfahrungen.

Welchen positiven Beitrag kann der Glaube in dieser Situation liefern?

Einige Bischöfe und Theologen haben ja in den letzten Tagen dazu geraten, in dieser Krisenzeit behutsam und vorsichtig mit der Rede von Gott zu sein. Dieser Empfehlung kann ich mich gut anschließen. Und damit meine ich nicht die unsägliche Rede davon, Corona sei eine Strafe Gottes oder ähnlichen Unsinn. Erklären kann man mit Gott und dem Glauben diese Situation jedenfalls auch nicht.
Ich glaube, Familien, die auch sonst ihr Leben mit Höhen und Tiefen, mit Scheitern und Gelingen vor Gott bringen, die werden das auch jetzt tun und etwa zusammen beten. Der Glaube und eine konkrete Glaubenspraxis sind bestimmt auch eine Hilfe, den Tag zu strukturieren. Etwa mit einem gemeinsamen Gespräch und Gebet vor dem Frühstück zu beginnen oder am Abend den Tag zu beschließen. Und vielleicht am Sonntag tatsächlich das Evangelium zu lesen.
Das stabilisiert den Familienalltag im Moment sehr.

Derzeit ist online eine Vielzahl an geistlichen Impulsen auch spezifisch für Familien zu finden. Können diese zu einer solchen Stabilisierung beitragen? Wie ist Ihre Einschätzung?

Vor ein paar Tagen habe ich ein Interview mit einer entnervten Mutter im NDR-Radio gehört. Der hatte eine Lehrerin geraten, mit den Kindern doch nach den Online-Hausaufgaben noch etwas zu basteln, zum Beispiel Filzmöhren als Osterdeko.
Die Filzmöhre könnte ein gutes Bild für die Unterscheidung dieser Impulse und Materialien sein. Sind die geistlichen Tipps und die katechetischen Materialien nur Beschäftigungstherapie oder Dekoration in dieser Zeit – wie eine Filzmöhre? Oder helfen sie zu einem ausgeglichenen Leben, dazu, die Ängste und Sorgen besser auszuhalten, einander und die Bedürfnisse des anderen besser zu ertragen?
In unserer Familie gehen wir zusammen spazieren, hören Musik und reden darüber, kochen zusammen, beten vor dem Essen. Wir schauen zusammen einen guten Film, wenn unsere Kinder jünger wären, würde ich viel vorlesen. Und wir lassen uns einfach auch Rückzugsräume und ertragen auch die schlechte Laune des anderen.

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, bedürfen die Impulse eines breiteren geistlichen Fundaments im Familienalltag. Wie kann so etwas konkret, auch ohne Corona, aussehen?

Ja, ich glaube, das stimmt. Vermutlich gibt es ja Ereignisse im Leben einer Familie, die weitaus herausfordernder sind als die Corona-Pandemie: ganz großes Glück und tiefes Unglück, Veränderungsprozesse, die schwer zu gestalten und ertragen sind – Umzüge, Trennungen, Krankheiten.
Dann geht es darum, ob eine Familie glaubt, dass Gott mit diesem ganz konkreten Alltag und seinen Herausforderungen etwas zu tun hat. Ob er mitgeht durch schwere Zeiten, ob er ansprechbar ist auf das, was wir selber nicht klar kriegen und bewältigen, ob er in der Tiefe der überschwänglichen Freude zu finden ist.
Das geistliche Fundament in unserer Familie kann ich an zwei Punkten festmachen: Zuerst geht es um einen evangeliumsgemäßen Umgang miteinander. Was brauchst du, was sollen wir dir tun, damit du gut leben kannst? Was ist der Grund deiner Freude und Hoffnung, deiner Trauer und Angst – und können wir den nicht gemeinsam besser tragen? Diese Fragen reichen ja weit über unsere Kernfamilie hinaus.
Und dann ist das zweitens das gemeinsame Gebet, mindestens einmal am Tag. Ohne das geht es nicht. Und dann fallen Impulse und Tipps auch auf einen guten Boden – manchmal.

Ganz in diesem Sinne schreiben Sie in Ihrem Buch* zum Thema, dass Gottes Gegenwart im Familienalltag mit seinem Chaos und seinen Überraschungsmomenten unberechenbar ist. Gleichzeitig trägt es den Untertitel „Mut-mach-Buch“. Wozu braucht es diesen Mut im Familienalltag am meisten? Zum Durchhalten und Vorbild sein?

Gottes Gegenwart ist ja immer unberechenbar. Das ist nicht nur im Familienalltag so, davon erzählen auch die meisten biblischen Geschichten. Er ist nie da, wo man ihn vermutet - bildlich gesprochen eher im leisen Säuseln als im lauten Sturm, in dem kleinen Kerl und nicht in seinem großen Bruder, sogar im großen Leid gegenwärtig statt im Glück wie bei Hiob und Jesus.
Und das gilt es auch im Familienalltag glauben und sehen zu lernen: Gott geht alle Wege mit, aber er lässt sich – wieder im Bild gesprochen – nicht bei jeder Gelegenheit sehen.
Der Mut besteht also darin, sich darauf zu verlassen, dass man sich auf ihn verlassen kann. Und da braucht es eine Menge Durchhaltevermögen, da haben Sie Recht. Wenn das für andere oder innerhalb der Familie irgendwie zum Vorbild wird, wie schön. Aber meistens geht es doch eher darum, sauber über die Runden zu kommen.

* Dominik Blum, Monika Kilian, Das Stück Himmel über unserem Leben. Ein Mut-mach-Buch für den Familienalltag mit Gott. München, Kösel-Verlag, 2010.

Das Interview erschien kurz vor Ostern 2020 zuerst auf www.forum-katechese.de

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