Wie ist ein Sterben in Würde möglich?
Stapelfeld, 06.02.2023 – Das Thema Sterbehilfe bewegt viele Menschen. Das wurde auch bei der Veranstaltung „Sterben in Würde – aber wie? Zur Debatte um den ärztlich assistierten Suizid“ deutlich, zu der die Katholische Akademie Stapelfeld (KAS) wegen der bevorstehenden Neuregelung des Sterbehilfegesetzes eingeladen hatte. Zahlreiche Zuhörer folgten dem Impuls-Vortrag „Hilfe beim Sterben oder Assistenz zum Suizid?“ von Stefan Kliesch vom Landes-Caritasverband und der anschließenden Diskussionsrunde, durch die Gastgeber Pfarrer PD Dr. Marc Röbel führte.
Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020 muss die Sterbehilfe neu geregelt werden. Das Urteil leitet aus dem Grundgesetz ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab und kippte daher das strafrechtliche Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe. Seitdem diskutiert der Bundestag drei Gesetzesentwürfe.
Stefan Kliesch, katholischer Diplom-Theologe und Ethikberater, gab mit seinem Vortrag Impulse zum Nachdenken und zur Selbstorientierung. Die Aufhebung des Sterbehilfegesetzes bezeichnete er als Tabubruch: „Zum ersten Mal und weltweit einzigartig hat ein höchstes Gericht entschieden, dass Suizid ein Grundrecht des Menschen ist oder zum Grundrecht auf Selbstbestimmung dazugehörig ist“, so Kliesch. Er machte deutlich, dass das Recht auf Suizid und auf Suizidassistenz als essentieller Teil des Grundrechts auf Selbstbestimmung gesehen wird und es keine festgelegten Gründe gibt. „Sie müssen im Prinzip nur 18 Jahre alt sein und sagen, dass Sie sterben möchten“, formulierte er es drastisch. Dieser Umstand führte zu der Frage, in welcher Form die vom Gericht eingeforderte Überprüfung eines freiverantwortlichen, festen und dauerhaften Willens festgestellt werden kann. Kliesch machte deutlich, dass die Gefahr bestehe, dass in Zukunft Druck auf Menschen zur Selbsttötung ausgeübt werden kann und forderte einen Ausbau der Suizidprävention und der Palliativ-Betreuung. „Sterben gehört zum Leben dazu und der Prozess des Sterbens muss gestaltet werden“, so Kliesch und betonte, dass die Hospizarbeit keine Unterstützung beim assistierten Suizid leisten werde. „Wir sind für alle da, machen aber nicht alles für alle. Leiden lindern durch das Töten bleibt ein Tabu“, umreißt er den ethischen Grundsatz der Caritas-Hospizarbeit.
Kliesch machte deutlich, vor welchen großen ethischen Fragen die Abgeordneten bei der Gestaltung des neuen Gesetzes stehen und zeigte auf, wie sich das Menschenbild in den vergangenen Jahrzehnten verändert habe und das christliche Weltbild nur noch ein Aspekt von vielen sei. Die Aufgabe der Kirche und der Caritas sei es daher, in einer pluralen Gemeinschaft die gesellschaftlichen Identitäten mitzugestalten und Orientierung im Wandel zu geben.
In der anschließenden Diskussionsrunde machte Silvia Breher, CDU-Bundestagsabgeordnete, deutlich, dass es sich um eine schwierige Diskussion und eine Gewissensentscheidung handele, die sich kein Abgeordneter leichtmachen würde. Sie unterstützt dabei den Vorschlag, nach dem der assistierte Suizid grundsätzlich strafbar ist, aber unter bestimmten Voraussetzungen, zu denen auch eine psychiatrische Untersuchung und Beratung gehören, erlaubt werden kann. Nach ihren Angaben haben sich die beiden Gruppen, die für eine liberale Regelung des assistierten Suizids eintreten, ganz aktuell für einen gemeinsamen Antrag zusammengeschlossen.
„Wir beschäftigen uns mit Fragen rund ums Leben, denn der Tod und das Sterben gehören zum Leben dazu. Sterben ist eine Zeit des Lebens, die gestaltbar ist und ich wünsche jedem, dass er und sie die Gelegenheit hat, auch diese Zeit des Lebens zu gestalten“, betonte Renate Lohmann, die seit über 20 Jahren im Ambulanten Hospizdienst Oldenburg aktiv ist. Sie ist überzeugt, dass die meisten Menschen nicht ihr Leben beenden wollen, sondern die Umstände unter denen sie leben, wie Einsamkeit oder Schmerzen, nicht mehr ertragen können. Aktuell gebe es eine große Diskussion innerhalb der ambulanten Hospizdienste, ob sie die vom Gesetzentwurf geplanten Beratungen zum assistierten Suizid übernehmen würden. „Für mich persönlich unvorstellbar“, so Lohmann. Sie machte deutlich, dass sie die Assistenz zur Selbsttötung nicht mitgehen würde, sondern forderte stattdessen eine Verbesserung der zum Teil unwürdigen Lebensumstände für die Menschen.
Dr. med. Stefan Scholand, Facharzt für Psychiatrie, berichtete aus seiner beruflichen Erfahrung heraus, dass die meisten Menschen aus einer aktuellen Situation heraus, aufgrund von persönlichem Leid oder aufgrund von Schmerzen, ihrem Leben ein Ende setzen wollen. Ändern sich jedoch diese Umstände, entscheiden sich die meisten für das Leben, so Dr. Scholand. Erschreckend nannte er, dass es im Urteil keine Begrenzung auf Leidenszustände gibt, sondern allein der Verweis auf den freien Willen einen assistierten Suizid ermöglicht. Aus seiner Sicht sei es aber wichtig, hier Grenzen zu ziehen und aufzuzeigen, auch wenn sie juristisch nicht festgelegt sein sollten.
Bildunterschrift (© Sigrid Lünnemann): Dr. Marc Röbel, Renate Lohmann, Silvia Breher, Dr. Stefan Scholand und Stefan Kliesch diskutierten über ein sensibles Thema.