Manchmal haben wir sogar „echte” Orks dabei...

Manchmal haben wir sogar „echte” Orks dabei...

Interview mit Dr. Heinrich Dickerhoff zur Fachtagung vom 30. Oktober bis 1. November 2015 –

Stapelfeld. „Wechsle deine Rolle” lautet der Titel einer aktuellen Fachtagung in Stapelfeld, in der es darum geht, Live-Rollenspiele als Methode in der Jugend- und Erwachsenenbildung kennenzulernen. „Mit Bühnentheater hat das Ganze gar nichts zu tun”, erklärt Dr. Heinrich Dickerhoff, Pädagogischer Direktor der Katholischen Akademie. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit diesen LARP's – als Mitspieler und Spielleiter. Im Interview erklärt er Hintergründe und berichtet über seine Erfahrungen.

• Was genau ist eigentlich ein Live-Rollenspiel? Und was unterscheidet es vom Bühnentheater?

Dickerhoff: Ich beschreibe es gern als eine unkonventionelle Mischung aus Improvisationstheater, Fantasy, Karneval und Kindheitsträumen. Wir tauchen mit Kostümen, Kulissen und Requisiten ein in eine ganz andere, fantastische Welt und spielen in selbst gewählten Rollen. Aber es gibt kein Drehbuch, keinen Regisseur und auch kein Publikum. Wir spielen nur für uns selbst. Das kann eine kleinere Gruppe mit einem Dutzend Teilnehmern sein. Es gibt aber auch riesige Formate mit mehreren tausend Mitspielern. In der Bildungsarbeit geht es für uns aber eher um überschaubare Aktionen.

• Wie läuft denn so ein Live-Rollenspiel ab?

Dickerhoff: Die Spielleitung sucht eine Location mit einem passenden Ambiente, meist in der Natur oder zumindest in ländlichem Umfeld. Für das Spiel wird ein einfacher Plot als Start vorgegeben, zum Beispiel ein Streit in der Taverne oder eine Marktszene oder eine Begegnung auf einem Fest. Alle Teilnehmer entscheiden selbst, welche Rolle sie hier spielen möchten und wie sie diese charakterlich gestalten. Nichts wird zugeteilt. Sidn viele Anfänger dabei, so steht ein Requisiten-Fundus bereit. Erfahrene Spieler haben dagegen eigene Ausrüstungen. In der Bildungsarbeit ist es aber besonders spannend, wenn die Teilnehmer ganz unvoreingenommen und ohne vorherige Rollenfestlegungen ins Spiel gehen.

• Und dann geht es los...

Dickerhoff: Genau. Der oder die Spielleiter starten die Aktion, indem sie z.B. jemanden direkt anspielen. Aus dessen Reaktion und dem Handeln der anderen entwickelt sich das Geschehen. Die Spielleiter machen einfach mit und geben manchmal einen neuen Impuls, wenn es irgendwo hakt. Sonst greifen wir nur ein, wenn z.B. eine Auseinandersetzung aus dem Ruder zu laufen droht. Aber keine Sorge, es sind keine echten Waffen im Spiel. Wenn's blutet, dann ist das eben doch Kunstblut.

• Wie lange dauert so ein Live-Rollenspiel?

Dickerhoff: Ein paar Stunden oder auch mehrere Tage. Je nach Absprache nur tagsüber oder rund um die Uhr. Manchmal ergibt sich das auch einfach während des Spielgeschehens. Wie gesagt – eine Grundidee, aber kein Drehbuch, klein Plan, der exakt umgesetzt wird.

• Und wenn das mal jemandem zu viel wird und er eine Auszeit braucht?

Dickerhoff: Das steht natürlich jedem frei. Niemand wird zum Non-Stop-Mitspielen gezwungen. Einfach die Arme vor der Brust kreuzen, das macht dich im Spiel unsichtbar. Jeder kann sich jederzeit ausklinken und auch wieder einsteigen.

• Im Internet kann man sich unter www.calannon.net Impressionen von solchen Live-Rollenspielen in Stapelfeld anschauen. Das Szenario scheint mittelalterlich zu sein, manch einer mag sich sogar an die berühmte Film-Trilogie „Herr der Ringe” erinnert fühlen.

Dickerhoff: Ja, das könnte sein. Und manchmal haben wir sogar „echte” Orks dabei. Tolkiens Geschichte liefert hier tatsächlich viele Vorbilder, ist Anregung, wird aber weitergesponnen und nicht nachgespielt. Wir bewegen uns in einer Fantasy-Welt, die von unserem heutigen Lebensalltag meilenweit entfernt ist. aber, wie die Märchenwelt, ins uns durchaus lebt. Das erlaubt uns, losgelöst von unseren alltäglichen Rollen auf fantastische Weise doch meist mit den gleichen Herausforderungen zu spielen, die uns auch im realen Leben begegnen: Mut, Eigenständigkeit, Kooperation, Konflikt und Konfliktlösung.

• Was bringt mir das als Mitspieler – abgesehen von jeder Menge Spaß?

Dickerhoff: Wie schon gesagt: auch wenn wir uns weitab unserer Alltagsrealität bewegen, sind die grundsätzlichen Lebensaufgaben in dieser Fantasy-Welt doch vergleichbar. Wir müssen zwischenmenschliches Miteinander meistern. Und das in unvorhersehbaren, auch heiklen Situationen. Ein Mann wird angegriffen – was mache ich? Ein Problem taucht auf: Fällt mir etwas ein? Bin ich bedrohlich oder freundlich, mutig oder feige? Wann gehe ich nach vorn, wann halte ich mich zurück? Mit wem vernetze ich mich? Wer kommt mir nahe? In seiner Rolle kann man sich ausprobieren und viel Spannendes über sich selbst erfahren. Manches davon stimmt nachdenklich, vieles macht Mut und alles öffnet letztlich neue Türen zu mir selbst. Gruppen entwickeln oft eine ganz neue Dynamik. Das kann echtes Team-Building sein.

• Ist die Fachtagung auch ein großes Live-Rollenspiel?

Dickerhoff: Nein, hier wollen wir Pädagogen, Gruppenleitern, Jugendbetreuern, Bildungsreferenten u.a. zeigen, das Live-Rollenspiel für unkonventionelle Lernchancen eröffnen kann und wie das funktioniert, wie man ein Spiel organisiert, durchführt und nachbereitet. Natürlich probieren wir das alles dann auch selbst einmal aus. So viel darf ich hier schon verraten: Wir sind am Samstagabend zu Gast am Hof einer Elbenfürstin und feiern Samhain. Das ist ein uraltes Volksfest der Kelten zum Winterbeginn. Hat übrigens nichts mit dem Kinder-Gruselspaß Halloween am gleichen Abend zu tun. Also nicht erschrecken, falls Sie einige von uns in Stapelfeld auf der Kirchstraße sehen...

• Was steht sonst noch auf dem Programm?

Dickerhoff: Konzepte und Handwerkszeug für künftige neue Rollenspiel-Macher. Dazu habe ich mir kompetente und erfahrene Seminarbegleiterinnen mit ins Boot geholt, einmal aus dem Jugendhilfe-Verein Waldritter e.V., der bundesweit Erlebnisspiele für Kinder, Jugendliche und Erwachsene auf die Beine stellt, dann vom Deutschen Liverollenspiel-Verband. Das wird ein sicher ungewöhnliches und spannendes Wochenende. Ich freue mich schon sehr darauf.

©Foto:GKneese

• Weitere Infos zur Tagung finden Sie dem Link folgend: