Die Kirche – eine Organisation mit Zukunft?
Organisationsforscher beim Vortragsabend in Stapelfeld – Pressebericht zum Un-Glaubensgespräch am 7.5.2023 in der Katholischen Akademie Stapelfeld
Die Kirche habe „fortlaufenden Erfolg“, so Akademiedirektor Dr. Marc Röbel bei der Eröffnung des Vortragsabends mit dem Organisationssoziologen Prof. Dr. Marcel Schütz in der Katholischen Akademie. Dies betreffe bekanntlich beide großen Kirchen in Deutschland, deren Mitgliederzahlen weniger als die Hälfte der Bevölkerung umfasse. In vielen Kirchendiskussionen werden dafür die zahlreichen Krisen und Skandale, aber auch der innerkirchliche Reformstau verantwortlich gemacht. Prof. Schütz kam in seinem Vortrag aus soziologischer Sicht zu einer etwas differenzierteren Einschätzung. So stellte der Forscher im Rahmen dieses Stapelfelder „Un-Glaubensgespräches“ fest: dass die Gesellschaft schon seit mehr als 100 Jahren zunehmend weniger religiös werde. Doch nicht nur Institutionen und Organisationen wie die christlichen Kirchen, sondern auch Gewerkschaften und andere Organisationsformen verlieren zahlenmäßig an Bedeutung. Für Schütz sind dies Zeichen einer „gesellschaftlichen Individualisierung und Optionalisierung“. Die Auflösung bisheriger traditioneller Milieus führt dazu, dass Lebensläufe und Lebensmodelle vielfältiger werden. Auch „Entkirchlichung“ gehöre dazu – und zwar unabhängig von durch die Kirchen selbst verursachten Krisen.
Doch auch wenn die Abbrüche nicht nur hausgemacht sind: Wie reagieren große Organisationen auf solche Herausforderungen? Laut Schütz, der an der privaten Northern Business School in Hamburg lehrt, gibt es ein Muster, wie Institutionen und Organisationen auf große Umbrüche reagieren. Dies seien in der Regel administrative Reformen. Ob aber die Veränderung äußerer Strukturen und Verwaltungsreformen allein den Umschwung brächten, da seien Zweifel angebracht.
Verstärkt würden der Ruf nach Umbrüchen auf Seiten der Kirchen durch die „permanent drohende Mitgliedschaftsfrage“. Sprich: Es wird üblicher, wegen der Krisen über einen Kirchenaustritt nachzudenken. Dazu kämen sichtbare kirchliche Skandale, Zweifel an der kirchlichen Führung und eine andauernde Debatte über kirchenpolitische Reformen. Schütz hält dies für nachvollziehbar. Veränderungen des Markenkerns bedürften aber einer anderen Motivation. Das unterscheide aus seiner Sicht die Kirchen von anderen Organisationen oder gar von Konzernen:
Doch auch wenn Kirche sich im Krisenmodus befindet, Reformen debattiert werden und gleichwohl manches zu Ende geht: Der Forscher Schütz betonte, die Kirchen haben eine „programmatische Immobilität“ und eine „starke Zweckstabilität“. Sprich: Der Markenkern des Christentums, also Verkündigung, Liturgie und gelebte Nächstenliebe, könne nicht ohne weiteres verändert werden. Wenn ein Konzern ein Produkt am Markt nicht mehr verkaufen könne, könne er einfach sein Warenangebot anpassen. Die Kirchen warnte Schütz hingegen davor, ihre „Identität“ aufzugeben, wenn sie allein aus solchen Gründen den Markenkern verändern würden. Mit Blick auf die Umbrüche der Gegenwart empfahl der Wissenschaftler den christlichen Kirchen, experimentelle Angebote und Projektformen in Gemeinden vor Ort zu stärken. Eine „qualifizierte Partizipation“ der immer noch zahlreichen engagierten Mitglieder und die Gemeinde als Erfahrungsraum einer persönlichen Bindung seien die wirksamsten Antworten, so der Forscher in Oldenburg lebende Forscher.